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Digitale Übergriffe auf Vinted: Bilder auf Telegram veröffentlicht

Sie möchten nur Second-Hand-Kleidung verkaufen und landen ohne ihr Wissen auf Telegram: Immer mehr Frauen werden Opfer von Bilderdiebstahl und sexueller Belästigung. Die auf der Plattform Vinted veröffentlichten “Tragebilder” tauchen auf sexualisierten Telegram-Kanälen auf – und die betroffenen Frauen müssen mit den mehr als unangenehmen Folgen leben.

Ein Handy mit Kleidung zum Verkaufen drauf - Erstellt mit AI durch Betrugstest Prompt.

Rund 100 Nutzerinnen des Portals Vinted sind von Bilderdiebstahl und sexueller Belästigung betroffen.

  • Die Enthüllungen basieren auf den Recherchen des NDR, WDR und der Süddeutschen Zeitung.
  • Rund 100 Opfer wurden bislang identifiziert. Viele berichten von unerwünschten sexualisierten Nachrichten.
  • Die Verfolgung der Verantwortlichen gestaltet sich schwierig. Telegram und Vinted betonen, sich an alle Gesetze zu halten.

Fotos zweckentfremdet

Vinted ist ein populärer Marktplatz für gebrauchte Kleidung und war früher unter dem Namen Kleiderkreisel bekannt. Dort veröffentlichen viele Nutzerinnen unter anderem auch Bilder, auf denen sie angebotene Kleidungsstücke präsentieren. Wie unter anderem die Tagesschau berichtet, tauchen diese Fotos seit Monaten in Kanälen des Messengerdienstes Telegram auf.

Nach Recherchen des WDR, NDR und der Süddeutschen Zeitung speichern die Betreiber dieser Kanäle die Bilder ohne Erlaubnis und verbreiten sie weiter. Die Reporter:innen beobachteten für ihre Recherche über Wochen hinweg den Kanal “Girls of Vinted”, der zu diesem Zeitpunkt rund 2.000 Mitglieder hatte.

Verlinkt werden die Bilder mit den Nutzerinnen-Profilen der Verkaufsplattform. Meistens handelt es sich um Aufnahmen, auf denen viel Haut sichtbar ist oder figurbetonte Kleidung getragen wird. Bislang wurden rund 100 Opfer aus Deutschland, Italien und Frankreich ausgemacht.

Öffentliche Informationen: Sichtbarkeit durch Klarnamen und Ortsangaben

Auf vielen Nutzerprofilen der Verkaufsseite lassen sich Klarnamen und Wohnorte erkennen. Diese Informationen tragen zur Auffindbarkeit einzelner Personen bei. Wer ein bestimmtes Profil abspeichert oder durchsucht, kann es jederzeit wieder aufrufen. Auch die Möglichkeit, Bilder herunterzuladen, ist gegeben. Die Struktur der Seite soll Vertrauen schaffen, bietet jedoch auch Angriffsfläche.

Sexualisierte Nachrichten an die Nutzerinnen

Selbst Nutzerinnen, die ihre Gesichter auf den Fotos nicht zeigen, geraten in die Sichtbarkeit der betreffenden Kanäle. Sie bekommen auf Vinted plötzlich deutlich mehr private Nachrichten. Viele davon enthalten sexualisierte Inhalte. Diese Form der Kontaktaufnahme erschwert auch die Kommunikation mit tatsächlichen Interessenten.

Mehrere Betroffene berichten, dass sie ihr Konten auf der Verkaufsplattform löschten zurückziehen oder keine Tragebilder mehr hochladen.

Hintergründe des Kanals bleiben im Dunkeln

Der Kanal, in dem die Bilder gesammelt wurden, wurde zunächst von einer Person mit weiblicher Identität geführt, die angeblichaus Mailand stammt. Diese Person behauptete, die Bilder öffentlich gespeichert zu haben, um sie einfacher wiederzufinden. Gleichzeitig wurden dort kostenpflichtige Leistungen angeboten, die sexueller Natur waren.

Die Kommunikation erfolgte automatisiert, der Zugriff auf den Kanal war gebührenpflichtig. Die Identität der verantwortlichen Person konnte bislang nicht eindeutig geklärt werden. Auch eine organisierte Struktur ist nicht auszuschließen.

Löschung des Kanals nach Recherche

Nach der Veröffentlichung journalistischer Nachforschungen wurde der Kanal entfernt. Der dazugehörige Account wurde ebenfalls gesperrt. Nach Angaben des Messengerdienstes handelte es sich dabei um eine Reaktion auf Verstöße gegen die eigenen Richtlinien. Die Sperrung erfolgte durch Moderatoren des Dienstes. Eine offizielle Stellungnahme zur Verzögerung dieser Maßnahme liegt nicht vor.

Nutzerinnen melden Übergriffe

Innerhalb der Verkaufsseite können anstößige Nachrichten gemeldet werden. Einige Betroffene nutzen diese Funktion. Die betroffenen Absender werden in der Regel innerhalb mehrerer Tage gesperrt.

Allerdings berichten Nutzerinnen, dass sie anschließend erneut Nachrichten von anderen Accounts erhalten. Die Betreiber der Verkaufsseite empfehlen bei Fällen von Bildmissbrauch auf Drittseiten, sich direkt an die entsprechenden Dienste zu wenden.

Persönlichkeitsrechte und Datenschutz verletzt

Nach deutschem Recht stellt das Veröffentlichen von Fotos ohne Zustimmung eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte dar. Dieses Recht ist im Kunsturhebergesetz (KUG) geregelt. Nach § 22 KUG dürfen Bildnisse nur mit ausdrücklicher Einwilligung der abgebildeten Person verbreitet oder öffentlich gezeigt werden.

Eine Ausnahme davon beschreibt § 23 KUG, der unter anderem Abbildungen von Personen der Zeitgeschichte erlaubt – auf Fälle wie die ungewollte Verbreitung von Tragebildern in privaten Kanälen trifft diese Ausnahme jedoch nicht zu. Wird gegen diese Regelung verstoßen, sieht § 33 KUG eine Strafandrohung vor: Die unzulässige Veröffentlichung eines Bildes kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder mit einer Geldstrafe geahndet werden.

Datenschutzverletzungen

Bei der unrechtmäßigen Nutzung von Bildern greift die seit 2018 europaweit gültige Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Nach Artikel 6 Absatz 1 ist die Verarbeitung personenbezogener Daten nur dann zulässig, wenn eine rechtliche Grundlage oder eine ausdrückliche Einwilligung vorliegt. Wird ein solches Bild ohne Zustimmung verbreitet, liegt ein Verstoß vor. Betroffene haben in solchen Fällen das Recht auf Löschung der betreffenden Inhalte nach Artikel 17 DSGVO. Zudem gewährt Artikel 82 DSGVO einen Anspruch auf Schadenersatz, wenn durch eine unzulässige Datenverarbeitung ein materieller oder immaterieller Schaden entsteht.

Ein Vorgehen gegen Verantwortliche ist jedoch schwierig. Viele der Administratoren solcher Kanäle bleiben anonym. Die Ermittlung der Identität scheitert häufig an fehlenden Zuständigkeiten. Telegram hat keinen offiziellen Sitz innerhalb der Europäischen Union. Nur ein Ansprechpartner für Behörden ist offiziell registriert.

Gesetze mit begrenzter Wirksamkeit

Der europäische Digital Services Act schreibt Regeln für Anbieter digitaler Dienste vor. Diese beinhalten unter anderem Melde- und Löschpflichten.

Telegram teilt mit, dass er den Vorgaben entspricht. Beschwerden würden geprüft und bearbeitet. Betroffene berichten jedoch von langen Reaktionszeiten oder fehlender Unterstützung. Die Durchsetzung des Rechts wird durch technische und organisatorische Hürden erschwert.

Fehlende Kontrolle

Sowohl die Verkaufsseite als auch der Messengerdienst verweisen auf bestehende Schutzmaßnahmen. In der Realität empfinden viele Betroffene diese Mechanismen als unzureichend.

Die Moderation erfolgt nicht in Echtzeit und Meldungen führen nicht immer zu einer Löschung. Die betroffenen Nutzerinnen bleiben häufig ohne schnelle Hilfe. Die Verantwortung für den Schutz der eigenen Inhalte liegt meist bei den Nutzerinnen selbst.

Zwischen digitalem Alltag und strukturellem Mangel

Die Recherchen zeigen eine deutliche Lücke zwischen rechtlichem Anspruch und tatsächlicher Umsetzung. Bestehende Gesetze greifen in der Praxis oft zu spät oder zu schwach. Digitale Räume werden von verschiedenen Akteuren ausgenutzt. Die Betreiber reagieren meist erst auf Druck oder öffentliche Aufmerksamkeit. Für Betroffene beginnt ein zeitaufwendiger Weg durch Beschwerden, Beweissicherung und Unsicherheit.

Roland Herrmann
In meiner täglichen Arbeit habe ich ein einziges Ziel: zu verhindern, dass Leser in Online-Betrügereien oder Betrügereien verfallen.
Geschrieben von: Roland Herrmann
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